16. April 2014

"Als der Sommer eine Farbe verlor" von Maria Regina Heinitz

Mag sein, dass die Zeit alle Wunden heilt, sehr wahrscheinlich ist das sogar richtig, aber keiner spricht über die Narben, die bleiben und still und unterkannt das Altbekannte verändern. Langsam, es geht nur sehr langsam, und weil die Wunde besonders schlimm aussieht, sagt man über die Narbe später, sie sei gut verheilt.
Zitat aus: "Als der Sommer eine Farbe verlor" von Maria Regina Heinitz
496 Seiten
ISBN: 9783827011886
Verlag: Bloomsbury Berlin
Jeder kennt sie - diese perfekten Sommertage, an denen einfach alles stimmt. Das Glück scheint endlos. Diese perfekten Sommertage, an denen man sich wünscht, sie würden niemals enden. Diese perfekten Sommertage, an denen man niemals glauben könnte, dass sich bald alles ändern wird...
Am Ende eines dieser perfekten Sommertage im Sommer 1976 findet Bénédicte ihre Mutter Aimée in deren Atelier. Aimée hat versucht, sich das Leben zu nehmen.
Nun ist alles anders. Der Vater zieht mit Bénédicte und ihrem jüngeren Bruder Marcel von Hamburg in die westfälische Provinz. Die Mutter hält nur schriftlichen Kontakt und schreibt, sie befände sich in einem Sanatorium. Fragen nach Aimée werden ausweichend beantwortet. Und Emil, der Vater, geht ganz in seinem Job als Leiter des "Irrenhauses" auf.

Die Geschwister haben nur sich selbst, erkunden die alte Villa, den verwunschenen Garten der Klinik und leben in ihrer eigenen Welt. Bald kommt Gertrud, die sich um Kinder und Haushalt kümmert. Und nach den Ferien kommt Susi Engel. Susi Engel, die hochbegabt ist und einfach über alles Bescheid weiß. Susi Engel, die Bénédictes beste Freundin wird.
Und dann sind da ja auch noch Anna (Susis Mutter), Frau Fritzi (Bénédictes Therapeutin) und Philo (Irrenhaus-Patient).

Maria Regina Heinitz hat in ihrem Roman "Als der Sommer eine Farbe verlor" eine wundervolle Geschichte über eine zerrissene Familie und das Erwachsenwerden beschrieben. Der Titel erklärt sich schon im Prolog von selbst - denn Bénédicte, ihre Mutter und ihre Großmutter sind Malerinnen. Farben gehören zu ihrem Leben. Und mit Aimées Suizidversuch ging etwas Wichtiges für die 13-jährige verloren. 

Manches erscheint in diesem Roman unverständlich und unerklärlich, doch muss man auch bedenken, dass das ganze Geschehen in den 70ern spielt. Der Umgang mit psychichen Krankheiten zum Beispiel war damals ein ganz anderer als heute. 

Die Stimmung, die die Autorin erzeugt, ist fantastisch und magisch. Der Zauber des Sommertages zu Beginn ist nahezu greifbar, Bénédictes Angst und Zweifel, was wirklich mit ihrer Mutter los ist, sind das ganze Buch über spürbar. Französische Ausdrücke und Textstellen (mit Übersetzung im Anhang!) geben dem Text etwas ganz Besonderes.

Viele Beschreibungen muten philosophisch und zauberhaft an. Sehr schön fand ich, wie Bics Großmutter ihr den Suizidversuch erklärt:
"Niemand, Liebes, niemand hat sie verletzt. Das Leben hat sie verletzt. Die Traurigkeit... (...) Es ist eine Krankheit, chaton, eine Krankheit, bei der die Traurigkeit wächst, fast unmerklich für die Menschen außen herum. Irgendwo nimmt es den Anfang. Sie wächst und wächst, und eines Tages ist sie so groß, dass sie nicht mehr zu ertragen ist. Und um sie nicht weiter ertragen zu müssen, hat Aimée sich verletzt..."
Zitat aus: "Als der Sommer eine Farbe verlor" von Maria Regina Heinitz

Ein wundervolles Buch. Ein fantastisches Cover. Eine zauberhafte Stimmung, erzeugt durch einen berührenden Schreibstil und authentische Charaktere.
Nur das Ende hinterließ mich etwas unbefriedigt. Doch es ist wie im wahren Leben: Manches klärt sich auf, anderes nicht. Zudem wird die Geschichte aus Bics Sicht erzählt und es schiene unrealistisch, wenn sich ihr plötzlich alles erschließen würde und sie Antworten auf sämtliche Fragen wüsste.

"Als der Sommer eine Farbe verlor" beherbergt die Geschichte eines traumatisierten Mädchens, das lernt, dass es sein Glück selbst in der Hand hält. 
Verrückt, was heißt das schon? Das ist wie drinnen und draußen. Alles eine Frage des Ortes, an dem man sich befindet.
Zitat aus: "Als der Sommer eine Farbe verlor" von Maria Regina Heinitz

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